4. Einsamkeit und Isolation

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Der "alte" Ratgeber

4. Einsamkeit und Isolation

Wenn man in der Zelle sitzt, muß man irgendwie mit dem Alleinsein fertig werden. Das geht eigentlich nur durch soetwas wie einen Plan, den man sich dazu ausdenkt. Eine solche persönliche Überlebensstrategie zu entwickeln, ist im Gefängnis sehr wichtig.

4.1. Alleinsein in der Zelle

Das Paradoxe im Knast ist, daß einem weniger körperliche Kraft, als die geistige Anstrengung weiterhelfen kann. Der Widerstand, der aus kör­perlicher Kraft kommt, stößt sofort auf die noch stärkere physische Kraft der Institution und wird unterdrückt. Deswegen sind verfeinerte Formen des Widerstands notwendig. Dazu gehört vor allem, wie man sich selbst widerstandsfähig erhält. Durch physische Anstrengung allein kann man das nicht. Es ist zum Beispiel unmöglich, sich nur durch Gymnastik und Bewegung, Sport wirklich widerstandsfähig zu halten. Und auch durch blinde Aktivität ist das nicht möglich, weil eine solche Aktivität etwas ist, was von der Umgebung gesteuert sein kann. Man braucht mehr als Kraft, man braucht Wissen und eine überlegte Strategie, um der langjährigen Zermürbung durch die Institution zu entgehen und um nicht mit dem eigenen Widerstand ins Leere zu treffen oder sich nur selber damit zu treffen. Was man spontan tun möchte, ist nicht immer das Richtige.

Techniken des Widerstands

Wie man mit der Situation fertig wird, in einer Zeile aliein zu bleiben, das erfordert deswegen viel Konzentration, Überlegung - gerade weil es eine äußerst künstliche Situation ist, die allen natürlichen Instinkten widerspricht. Man kann in der Zelle keine groben Dinge machen – damit wird man sofort auf die Grenzen stossen, die von einzelnen nicht zu durchbrechen sind. Das Alleinsein in der Zelle sollte man deshalb als Gelegenheit betrachten, sich subtilere, feinere Techniken des Wider­stands anzueignen als sie draußen notwendig sind. Man kann alles mögliche machen, womit man sich die Zeit vertreibt, aber das bringt einen auf die Dauer nicht weiter. Man muß versuchen das zu machen, was für das eigene Überleben und das Überleben der andern Gefangenen einen Sinn hat. Es darf nicht lediglich Zeitvertreib sein, oder Vertreibung der Ge­danken. Eine solche Strategie kann darin bestehen, daß man sich zunächst einen Plan für einen Tag, für eine Woche, für einen Monat usw. macht, zum Beispiel von 8.00 - 9.00 Uhr Zeitung lesen, dann einen Brief schreiben, dann irgendetwas anderes machen. Das sind jedoch nur sehr äußerliche Orientierungshilfen, aber auch sie können nützlich sein. Mit einer umfas­senderen Strategie, die sich auf das ganze eigene Tun bezieht, wird man allerdings eine solche Tageseinteilung nicht mehr brauchen. Dann wird man tun, was man sowieso tun will.

Schreiben

Für die übrigen Tätigkeiten, zum Beispiel das Schreiben, wird man keine Tageseinteilung brauchen. Die Sprache und das Schreiben sind eine Art Ersatz für.Bewegung, Freizügigkeit, Freiheit. Mit der Sprache kann man das kompensieren, was einem an "Leben" draußen fehlt. Man sollte also die Sprache als ein Mittel benutzen, um sich die Realität um einen herum anzueignen. Man wird feststellen, daß man dadurch viel von der Angst, die man vor ihr hat, verliert. Denn man bearbeitet einen Gegenstand, und diese Arbeit macht den Gegenstand schließlich vertraut. Diese Vertrautheit mit dem, was man beschreibt, kann dir sehr helfen. Das gilt natürlich nicht nur für das Schreiben, sondern auch für andere Arten der Realitätsgestaltung,: zum Beispiel Zeichnen. Das Schreiben ist auch ein Ersatz für den andern, der in der Zelle fehlt. Man wird immer versuchen, mit einem andern zu einer menschlichen Beziehung zu kommen, mit einem andern zu sprechen, einen andern zu hören, und wenn es nicht auf die einfache Weise geht, daß man mit dem andern zusammen ist, wird man es über ein Instrument versuchen. Ein banales Instrument ist das Radio, das aber über einen selbst hinwegtönt. Man ist Teilnehmer und doch gleichzeitig ausgeschlossen, man kann nur zuhören. Und um das umzudrehen, um wirklicher Teilnehmer zu sein, fängt man an zu schreiben. In diesem Schreiben ist man beides, nämlich derjenige, der etwas sagt und derjenige, der etwas fragt, der Beobachter und der Beobachtete. Schreiben, nicht wegen irgendweicher literarischer Fähigkeiten, sondern einfach weil es ein Instrument der Verständigung mit sich selbst und der Verständigung mit andern ist.

Der innere Monolog

Ebenso sollte man versuchen, den inneren Monolog, das innere Selbstge­spräch zu vervollkommnen. Man sollte versuchen, dieses Frage- und Antwortspiel der Gedanken soweit zu konzentrieren, daß es ein Gespräch ersetzen kann. Natürlich ersetzt es nie richtige Gespräche, aber es verschafft einem eine innere Stabilität, die man in der Ausgelie­ferten des Gefangenseins notwendig braucht.

Träume

Eine weitere Methode der inneren Stabilisierung ist das Aufschreiben der Träume. Allein durch das ständige Aufschreiben des Geträumten werden die unbewußten Vorgänge, die sich in den Träumen widerspie­geln, zu einem gewissen Teil "aufgearbeitet" und dadurch bewußter. Das Ergebnis kann eine vergrößerte innere Sicherheit und innere Ruhe sein. Auch beim Aufschreiben der Träume hilft nur ständige Übung und Wiederholung. Man wird merken, daß man sich nach einiger Zeit an sehr viele Einzelheiten der Träume erinnern kann.

Chancen des Alleinseins

Auch aus dem Alleinsein in der Zelle kann man einen Teil der Kraft ziehen, die man im Alltag des Gefängnisses braucht (aber auch im Untergrund, dafür gilt dasselbe), Das würde bedeuten, daß man sich in der Zelle darauf vorbereitet, ohne andere auszukommen. Denn das ist die Realität. Wenn man verurteilt ist oder wenn man als politischer Gefangener inhaftiert ist, kann das bedeuten, daß man nicht mehr freikommt. Man ist auf das eigene Ich zurückgeworfen. Es gibt trotz aller Möglichkeiten, im Knast sich mit jemanden anzufreunden, nicht mehr die Möglichkeiten, die es in Freiheit gab. Und außerdem gibt es die Isolation, die nur die Verschärfung des Alieinseins bedeutet, In dieser Situation muß man lernen, mit sich alleine zu leben. Man wird versuchen, alle früheren Erlebnisse in Gedanken zurückzuholen. Aber das ist zunächst nur die Vergangenheit, die irgendwann abstirbt. Um mit der Isolation fertigzuwerden, muß. sich das eigene Denken ständig erneuern. Von der Vergangenheit aHein kann man nicht weiterleben. Und uiji nicht jener Kommunikation ausgeiiefejrt zu sein, die allein von der Institution bestimmt ist, vom Anstaltsradio und den organisierten "Freizeitgrup­pen", muß man versuchen, ihr das eigene Ich, die eigenen Gedanken entgegenzusetzen. Das ist so wichtig, daß man solche Methoden zum Überleben entwickeln sollte - auch weil die ganze Gewalt der Institution gegen die Wahrnehmung des eigenen Lebens gerichtet ist. Und langfri­stigen Widerstand leisten kann nur, wer sich selbst wahrnimmt. Er wird nicht auf die auferzwungene Orientierung durch die Institution eingehen, er wird sich ihr nicht anpassen. Ein großer Teil des Widerstands besteht darin, wie man mit der Isolation selbst fertig wird, wie man sich selbst dagegen verteidigt. Verteidigen ist an sich etwas, was defensiv ist und als solches einen ungünstigen Platz in der Strategie hat. Wer sich verteidigt, ist bereits halb überwältigt: Man sollte deshalb versuchen, die Isolation positiv aufzufassen, als eine Situation, in der 'auch Sinnvolles - zum Beispiel eine Arbeit, Selbsterfor­schung, eine besondere Form des Widerstands - möglich ist.

Kein allgemeingültiges Rezept

Es gibt sicher sehr unterschiedliche persönliche Wege, mit der Situation des Alleinseins fertig zu werden. Es soll hier nicht versucht werden, ein Generalrezept zu geben, sondern worauf es ankommt ist vielmehr die Technik des überlegten Verhaltens selbst. Die folgenden Erfahrungsbe­richte zeigen die Gegensätzlichkeit von Strategien, aber auch die Ähn­lichkeit in der Gruhdeinstellung, nämlich überhaupt überlegt und pla­nend sich zu verhalten: Eine sinnvolle Einteilung der Zeit mit allerlei nützlichen Aktivitäten ist besonders in der Totaliso wichtig - um nicht zu sagen: lebensnotwendig. A und O ist ein fester Zeitplan sowie die energische Befolgung desselben. Das fällt manchmal ungeheuer schwer; wer sich aber hängen läßt, ist verloren. Lesen, schreiben sowie malen und bastein sind unter besonderen Umständen enorme Kraftspender. Selbst das blödeste Kreuzworträtsel hat da eine wichtige Funktion. Zum geistigen Beweglichbleiben sind verschiedene Denk- und Ratespiele besonders zu empfeh­len. Solche quasi "vorgekauten" Sachen dürfen aber nicht zum Ersatz für deinen natürlichen Empfindungs- und Einfalisreichtum werden. Zu empfehlen ist auch das Studium einer oder gar mehrerer Sprachen. Von zu vielem sturen Vokabeln­pauken aber ist abzuraten, damit es nicht zur Ersatzhandlung für daS Denken wird. Auch ist die Aufnahmefähigkeit nach einem halben Jahr Totaliso schon ganz schön reduziert. Nach einem Jahr sind schon unheimliche Aussetzer da. Du hast auf einmal fürchterliche Schwierigkeiten, dir einfachste Namen oder Begriffe zu merken, Wenns dir mal ganz dreckig geht: ein Blatt Papier nehmen und in einer Ecke einfach anfangen, was zu malen. Oder was schreiben, was dir einfällt. Das hilft meistens. Am wichtigsten aber ist die sinnvolle Einteilung des endlos erscheinenden Tages, der dir vorkommt, als ob er hundert Stunden lang ist. Je nach Persönlichkeit sollte dabei versucht werden, ein ausgewogenes Verhältnis zwischen manuellen und geistigen Tätigkeiten zu entwickeln. Bastei irgendwas - und sei's mangels Mög­lichkeit noch so "blödsinnig" - schreib, male, denke, erzähl dir was, studier ein Viech, was die Wand langläuft, gucke in den Spiegel und spiel dir was vor, zieh Grimassen, erzähl dir was, lache, weine - aber hänge nicht rum! Beobachte dich selbst, denk über dich selbst nach. Studiere deinen Körper, flechte dir Zöpfe, onaniere - aber laß nicht zu, daß sich deine Seele, dein Geist von deinem Körper trennt (durch unsinniges Dauergrübeln oder auf der anderen Seite durch geistiges Abschalten, indem du irgendwas mechanisches machst). Mit der Iso wollen sie dich kaputtmachen - laß es nicht zu! Und klär: körperliches Fitnesstratning. Sehr nützlich sind auch alle möglichen Yogaübungen. Auch ohne große Vorkenntnisse lassen sich z. B. gewisse Atemübungen schnell erlernen. Bei relativ normalen Haftbedingungen, wenn du also andere Gefangene treffen kannst, Freizeit, Fernsehen etc. laufen, bist du zwar auch nicht viel weniger Zeit allein - immer noch 20 bis 22 Stunden - aber die Zeit, mit sinnvoller Beschäfti­gung ausgefüllt, vergeht ungleich schneller.

Ein anderer Selbsterfahrungsbericht:

Man versumpft, wenn man tagelang nur liest und monatelang nur die Zeitung, dann den nächsten Krimi, dann weiß ich nicht was für Bücher; dann am Ende von seiner Haftzeit unheimlich viel gelesen hat und was weiß ich für Bauernschiäue im Kopf hat, jedes Kreuzworträtsel vorwärts und rückwärts lösen kann - aber gebracht für einen selber hat's wahrscheinlich nicht viel. Ich habe zeitweise versucht, so ein Programm aufzustellen - also meinetwegen morgens die Zeitung lesen, dann einen Brief schreiben, dann irgendwas anderes machen. Das habe ich ziemlich schnei! wieder fallengelassen. Ich habe dann einfach immer das gemacht, wo ich zeitweise Lust hatte. Manchmal einen halben Tag nur gelesen, dann wieder zwei Tage gar nicht gelesen. Dann nur geschrieben oder manchmal vier bis fünf Stunden nur am Fenster gesessen und mit jemanden gesprochen oder einfach nur so am Fenster gesessen und rausgeguckt. Man kann hier die oberste Scheibe über der Betonblende ausbauen und morgens wieder so einsetzen, daß es nicht mehr zu sehen ist. Ich habe also stundenlang am Fenster gesessen und über die Blende weggeguckt - zugeguckt wie da Fußbai! gespielt worden ist, wie die Leute spazierengegangen sind - zugeguckt. Das hat mir eigentlich unheimlich viel gebracht, einfach nur so am Fenster zu sitzen... Und dann zum Beispiel Schreib­hilfe - zum größten Teil habe ich das dann abends auf der Zelle gemacht. Hab mir von den einzelnen Leuten das Aktenzeichen und den Haftbefehl geben lassen, habs mir durchgelesen, hab dann die Briefe geschrieben für den Rechtsanwalt, hab dann meine Zeitungsartikel ausgeschnitten, hab die Mappe zusammengestellt und dann noch so meinen persönlichen Kram - hab also meine Briefe geschrieben. Für die ProzeBvorbereitung habe ich praktisch überhaupt nichts gemacht, weil es mir - als Politischer bin ich im Knast gewesen - viel zu riskant war irgendwelche Untertagen zu sammeln, wei! die einem die ganze Zelle ausgeräumt haben und kein Fitzelchen Papier mehr in der Zeüe gelassen haben. Die nehmen da keine Rücksicht auf Anwaltsunterlagen. Ich kann eigentlich nicht sagen, daß ich irgend­wann mal Langeweile gehabt habe. Im Gegenteil - ich habe für viele Sachen manchmal keine Zeit mehr'gehabt. Der Tag war so ausgefüllt, daß ich nachts noch stundenlang mit Kerze geschrieben habe, oder wenn ich was lesen wollte, daß ich das nachts mit Kerze gemacht habe. So Langeweile - ich weiß nicht, wer ein bißchen was macht in punkto Selbsthilfe, sich mit den Problemen der anderen auseinandersetzt, was ich halt für wichtig halte, um überhaupt überleben zu können da drin, ohne total vereinsamen zu müssen - da kommt man überhaupt nicht in die Verlegenheit, Langeweile zu schieben. Tagebuch führen ist auch was Gutes - so weit es geht in Stichpunkten, wenn man es selber später verwenden will. Mir selber reicht es, zwei Wörter aufzuschreiben, da kann ich ein Jahr oder ein halbes Jahr später noch ne ganze Seite vollschreiben. Nur Stichpunkte aufschreiben, mit denen man nur selber was anfangen kann!

Aus dem Fenster sehen

Die Dinge, die man vom Zellenfenster aus sieht, erscheinen in einer eigenartigen Verfremdung. Sie werden intensiver wahrgenommen als anderes, was man früher gesehen hat. Ich habe eigentlich jede freie Minute am Fenster verbracht und wenn nicht im Gespräch mit Mitgefangenen, so einfach nur den Knasthof beobachtend. Nach einiger Zeit merkte ich, daß.im Knast ganz bestimmte Vögel lebten. So besorgte ich mir aus der Knastbibliothek entsprechende Fachbücher und las alles über eine bestimmte Taubensorte, Turmfalken, Schwarzdrossel usw. und bin über diesen Umweg auf die Verhaltensforschung und dort wieder auf ganz andere Probleme gestoßen; so ging's mir. Bei einem anderen kann's natürlich völlig anders verlau­fen und wird's ganz sicher auch.

Nichtstun

Auch das Nichtstun erfordert Anstrengung, vielleicht mehr Anstrengung als etwas zu tun, weil es einen an die eigenen Gedanken und Erinnerun­gen ausliefert, die mit wachsender Intensität erscheinen. Man sollte es dahin bringen, sich im eigenen Unbewußten, in den Gedanken, in der Vernunft und in den Erinnerungen ein Stück Freiheit zu erobern. Man muß sich daran gewöhnen können, auf dem Bett zu liegen und einfach die Gedanken laufen zu lassen und alles vor sich erscheinen zu lassen, was gewesen ist und worauf man seine Hoffnung setzt.Diese Beispiele zeigen, daß es nur solchu Überlebungsstrategien geben kann, die jeder aus sich selbst entwickelt.

4.2 Überleben in der strengen Isolationshaft

Was ist Isolaiionshaft?

Isolationshaft ist in der Sprache der Justiz 'verschärfte Einzelhaft'. Du wirst vollständig von den ohnedies schon beschränkten Kontaktmöglich-keiten mit den anderen Gefangenen abgeschlossen: Einzelfreistunde, Ausschluß von der Teilnahme an Gemeinschaftsveranstaltungen ein­schließlich den Gottesdiensten, Einzelduschen, bei Bewegungen durch den Trakt werden andere Gefangene vorher weggeschlossen, du bist aliein bei den Vorführungen zum Arzt, deine Zelle ist eine meistens abgelegene und gesondert bewachte Gefängniseinrichtung innerhalb des Gefängnisses, die Nachbarzellen sind leer, oft bist du ganz allein in einem Sonderträkt. Das und vieles andere summiert sich zur sozialen Isoiation nach innen. Hinzu kommen Maßnahmen zur sozialen Isoiation nach außen: Beschränkung der Verteidigerbesuche oder Besuchsverbot für Verteidiger, die sich für dich über die reinen Prozeßangelegenheiten hinaus einsetzen, Radio-, Plattenspieler- und Fernseh verbot, Beschrän­kung, abschreckende Überwachung und Schikanierung aller anderen Besuche, Beschränkung oder Verbot von brieflichen Kontakten. Die soziale Isolierung nach außen fand erstmals vollständig mit der 'Kontakt­sperre' im September-Oktober-November 1977 statt. Die soziale Isola­tion wird drittens verbunden mit Demonstrationen von staatlicher All­macht: deine Zelle wird ständig durchsucht, du wirst abgehört, über besondere Spione fortlaufend beobachtet, überraschenden Verhörversu­chen ausgesetzt, von Staatsschutzleuten direkt in der Zelle heimgesucht, bedroht, deine persönlichen Sachen werden ständig durchwühlt und manchmal auch vor deinen Augen vernichtet. Dazu wirst du einem ständigen Entzug von Sinnesreizen ausgesetzt: Sichtblenden oder feine Fliegennetze beschränken und verändern deinen Sehsinn; besondere Dichtungen an der Zellentür und die Lage deiner Zelle im stillsten Winkel des Knastes entziehen dir die Geräusche; du wirst durch regel­mäßige Wegnahme von Arbeitsunterlagen, Manuskripten, Lehr- und Sprachbüchern am gezielten Ausüben von Denkleistungen gehindert. Dir wird fortlaufend oder in regel­mäßigen Abständen der Schlaf entzogen: die Zeilenbeleuchtung bleibt nachts an, es sind besonders starke Außenscheinwerfer angebracht, oder der Schlaf wird durch kurzzeitiges Anschalten der Zellenbeleuchtung unterbrochen. Über die Auswirkun­gen des Schlafentzugs, die sich in drei aufeinanderfolgenden Zustands-phasen entwickeln, berichten wir im Kapitel 17 über "akute Notfälle". Seit 1972/73 ist die BRD zweifellos führend in Sachen Isolationshaft, und zwar sowohl in der wissenschaftlichen Ausarbeitung und Erforschung wie in der Praxis. Die Isolationshaft ist zweifellos das neue Herzstück des 'Modell Deutschland'. Ihre Aufgabe ist, 1."Die Häftlinge als Individuen zu zerstören und sie in eine folgsame Masse zu verwandeln, aus der sich kein Widerstand eines einzelnen oder einer Gruppe erheben würde", 2."Der übrigen Bevölkerung Schrecken einzujagen, wobei die Häftlinge sowohl als Geiseln wie als abschreckende Beispiele benutzt werden, um zu zeigen, was mit demjenigen geschehen würde, der versuchte, Widerstand zu leisten",

3.Die Wachmannschaft zu lehren, "sich von ihren früheren, menschlichen Gefühlen und Einstellungen zu befreien".

Diese Zitate stammen aus einem Buch, das Bruno Bettelheim über die Kon­zentrationslager der Nazizeit geschrieben hat (Der Aufstand gegen die Masse, S. 121). Ihre Austauschbarkeit ist bestürzend. Die Isolationshaft ist keineswegs nur auf die 150 Gefangenen beschränkt, die der "kriminellen Vereinigung" beschuldigt werden. Sie wird gegenwärtig ausgedehnt auf alle Gefangenen und Internierten, die auch in der Haft rebellisch und unangepaßt bleiben.

Welche Arten von Isolationshaft gibt es gegenwärtig in Westdeutschland und Westberlin?

Kurzdauernde Isolation: Sie wurde genau in dem Zeitraum wieder verstärkt eingeführt, wo. die Strafvollzugsreformen die verschiedenen Formen des Arrests auf dem Papier abgeschafft hatten. In den bisherigen Arten des Arrests und der „Beruhigung" waren bis Ende der sechziger Jahre einige spektakuläre Todesfälle vorgekommen. Es gab eine breite Öffentlichkeitskampagne. Für die Justiz galt es, die gröbsten Arten der Mißhandlung im Arrest abzubauen,, also die bisherigen Methoden zu verfeinern. In allen Gefäng­nissen werden inzwischen Sondertrakte eingerichtet, in die renitente., rebellische und querulante Gefangene gesperrt werden, meistens für vierzehn Tage, immer häufiger aber auch für Monate. Diese Sonder­trakte entstehen aber auch in den anderen Anstalten: in den geschlosse­nen Jugendheimen, in den geschlossenen Abteilungen der psychiatri­schen Anstalten. Das Rollkommando wird abgelöst von den neuen Sondertrakten und den Weißkitteln mit ihren Beruhigungsspritzen. Isolation bis zum 'Geständnis' in der Untersuchungshaft: Gefangene haben berichtet, daß es in den neuerbauten Gefängnissen zusätzliche Abteilungen gibt, in die alle Verhafteten kommen, die der Bandenkriminalität beschuldigt werden (Baden-Württemberg, Nord-rhein-Westfalen). Sie werden zunächst totalisoliert. Nach einem bis zwei Monaten erscheinen die Staatsanwälte, um mit der Drohung der Fortset­zung der Isolation die gewünschten Geständnisse einzuheimsen. Die Gefangenen sagen, die neue Art der Haft schüchtere sie mehr ein als die bisherige Drohung, im Fall der Nichtaussage könne eine Anklage wegen eines - eventuell nur beabsichtigten -Tötungsdelikts auf sie zukommen. Sollten sich diese Informationen auf Dauer bestätigen, dann läge hier der typische Fall vor, wo die Justiz ihre Erfahrungen mit Gefangenen, die wegen § 129 und §129a Strafgesetzbuch („kriminelle" bzw. „terroristi­sche Vereinigung") belangt werden, auf andere Gefangenengruppen ausweitet. Abwechsel von Totalisolation und Zwischenstufen der 'verschärften Einzelhaft': Alle Gefangenen, die bis heute wegen §129 inhaftiert waren, haben diese Art der Isolation durchgemacht. Sie wurden zwei bis drei Monate totalisoliert (der neuralgische Punkt der Isolation, die Anwälte, wird gerade dichtgemacht). Dann gab es Verhörversuche der Bundesanwalt­schaft. Kamen die Staatsanwälte nicht zum Ziel, versuchten sie mit allen Mitteln die Verlängerung der Isolation. Sie kamen aber seit 1973/74 regelmäßig in einen Wettlauf mit der Zeit, weil die Gleichschaltung der Presse noch nicht funktionierte, Kampagnen gegen die Isolationshaft also teilweise Erfolg hatten. Die Totalisolation wurde zur Isolation in kleinen Gruppen, die langfristig nicht weniger verheerende Folgen hat. Die erzwungene Aufhebung der sozialen Isolation nach außen wurde zum Ermittlungsgegenstand gemacht: BKA- und LKA-Spezialisten bei den Besuchen, Abhören der Anwaltsgespräche, Nachermittlungen bei breiten Briefkontakten. Diese begrenzte Lockerung wurde aber keines­wegs zum Dauerzustand. Vielmehr wurden die Gefangenen bei jeder einigermaßen ausnutzbaren Situation wieder totalisoliert: sie wurden zu Geiseln des Staats, der von den Konsequenzen, nämlich der Vernichtung dieser Gefangenen weiß. Der Staatsschutz hat seit dem Herbst 1977 die 'Verrechtlichung' des Prinzips wahlloser Geiselnahme in den Gefängnis­sen in der Rückhand: das Kontaktsperregesetz ist ein Ermächtigungsge­setz zur willkürlichen Geiselnahme durch den Staat. Es war die Voraus­setzung für den nächsten Schritt, die zusätzliche Verkürzung des Abster-bens und Veriöschens in der Isolation, im Fall Stammheim.

Die Auswirkungen der Isolationshaft

Sie lassen sich in mehrere Phasen unterteilen: Schock, Anpassung, Obergangsstadium, Verfall. Die ersten Stunden und Tage der Inhaftierung wirken schockartig. Die/ der Gefangene erfährt die Allmacht des Staats bis in die letzte Faser. Er wird - immer unter den Augen schwerbewaffneter Sonderbeamter -ständig durchsucht, entkleidet, ärztlich untersucht, in Knastklamotten gesteckt, ohne Sicht und Ortsangabe transportiert, er landet in der Spezialzelle in völliger Isolation. Die plötzliche Stille, die auf Beton reduzierte Umgebung, die lautlose Dauerbewachung durch Zellenspion, Abhöranlage usw. überwältigen ihn. Es setzt ein fieberhafter Aktions­drang ein, der vom Körper durch völlige Apathie gegengesteuert wird, eine Art Totstellreaktion. Es beginnt die-Zeit der Anpassung. Der Gefangene mobilisiert seine ganze Phantasie, um den völligen Kontaktverlust mit den Menschen auszugleichen. Er lernt, die Grünen, mit denen er stummen Kontakt nur beim Hofgang und beim Essenfassen hat, in ihrer mechanischen Funk­tionsweise zu betrachten. Gleichzeitig stumpft er aber innerhalb von Wochen gegenüber seiner Umwelt ab, weil seine Sinnesorgane eintrock­nen. Schon bei den ersten Besuchen wirkt er überkonzentriert, aber gleichzeitig fahrig und vergeßlich. In den ersten Monaten halten sich die gezielt gesteuerte Phantasie und die ihn verlangsamende Anpassungsre­aktion die Waage. Im Lauf der Zeit überwiegen Nervosität, rascher Stimmungswechsel und Konzentrationsverlust. Es kommt nun alles darauf an, dieses Anpassungsstadium so lang wie möglich auszudehnen, darüber weiter unten. Gelingt das nicht, so kommt es oft nach einem halben Jahr zu einer Veränderung der stabilisierenden .Phantasiewelt: sie entzieht sich der Selbstkontrolle, wird weitschweifig, unkoordiniert, ein chaotischer Phantasiesturm beginnt, durchsetzt mit Sexualwünschen, Erinnerungsfetzen und Aktionsplänen, den Knastalltag zu erobern. Schritt für Schritt gehen dabei die Fähigkeiten verloren, die dem Abstumpfungsprozeß entgegensteuerten. Die oder der Gefangene beginnt, die jetzt meist einsetzenden Rest-Kontakte (Anwälte, Besuche, Post) zu hassen, weil sie zur Wiederaufnahme der Selbstkontrolle zwin­gen. Jetzt setzen ausgeprägte Sprech-, Konzentrations- und Orientie­rungsstörungen ein. Wenn es nicht zum Halt kommt, schließt sich ein dramatisches Übergangsstadium an. Die letzte Phase vor dem Verfall in chronisch werdender Todesangst ist geprägt von zunehmenden Falschwahrnehmungen, je nach Art der Haft - vorwiegend Geräusch-, Sichtentzug oder Überbeobachtung oder Schlafentzug - fangen die bisher in die unkontrollierte Phantasiewelt eingebetteten Falschwahrnehmungen an, sich zu verselbständigen. Es werden geschlossene Systeme daraus wie bei akuten Psychosen. Die/der Gefangene wird unfähig, die lautlose Bedrohung genau zu begreifen; er verbindet sie mit Gehörs- und Gesichtshalluzinationen. Schließlich gerät er manchmal in einen Zustand, wo er anfängt, das lautlose Verlöschen seiner Sinne und seiner Kontaktfähigkeit körperlich auszudrücken. Er erlebt die stummen Martern körperlich. Die Schmerzen, die Angst und die Verzweiflung der klassischen mechanischen Folter sind Wirklichkeit für ihn, und dennoch weiß er in jedem Augenblick, daß die noch viel grauenhaftere Folter des lautlosen Verloschens und Verstummens dahinter steht: „Das Gefühl, es explodiert einem der Kopf (das Gefühl, die Schädeldecke müßte eigentlich zerreißen, abplatzen) -das Gefühl, es würde einem das Rückenmark ins Gehirn gepreßt, das Gefühl, das Gehirn schrumpelte einem allmählich zusammen, wie Backobst z.B. -das Gefühl, man stünde ununterbrochen, unmerklich unter Strom, man würde ferngesteuert." (Ulrike Meinhof) Es gelingt vielen Gefangenen, sich auch in diesem Stadium noch zu erholen, wenn die Isotationshaft gelockert wird. Manche schaffen das nicht mehr, Sie gehen aus dem Grauen mit einer chronischen Todesangst hervor, die sie nicht mehr verarbeiten können. Sie sind total appetitlos, erbrechen beim Essen, haben Durchfall sofort nach dem Essen, stump­fen völlig ab, werden völlig gleichgültig bei Besuchen. Es gibt diese Gefangenen. Das Modell Deutschland hat sich tief in ihre Körper eingezeichnet.

Überleben in Isolationshaft

Wenn wir über uberlebungsmöglichkeiten schreiben, dann tun wir dies im ehrlichen Wissen, daß sie sehr begrenzt sind. Nach etwa sechs Monaten setzen schwere Persönlichkeitsveränderungen ein. Sie vertiefen sich, sobald der Gefangene für längere Zeit die Grenze zum Durchgangs­stadium überschreitet. Er bleibt auch nach seiner Freilassung davon gezeichnet, auch wenn er sich äußerlich völlig an die wiedergewonnenen Lebensbedingungen angepasst. Die einzige Überlebensgarantie ist die Beseitigung des Terrorinstruments Isolationshaft und die Freilassung aller, die längere Zeit isoliert gewesen sind. Die Möglichkeiten, selbst zu überleben, können bei fortdauernder Haftsituation nur einen Zeitgewinn bedeuten. Auf jeden Fall aber machen sie es möglich, die einzige vom Staatsschutz angestrebte Lösung, nämlich dein Überwechseln auf die Seite des Staats, in allen Phasen der Haft 211 verweigern. Bei jeder Überlebensstrategie ist davon auszugehen, warum der Staat die Sinneswahrnehmungen entzieht, deine sozialen Kontakte unterbricht, dich mit Schlafentzug martert. Er tut es nämlich, um seinen Zugriff auf deinen Körper übermächtig und unwiderstehlich erscheinen zu lassen. Er nimmt deiner Persönlichkeit die Umwelt und die Mitmenschen ab, um sie auszuleeren, um sie in ein abstraktes und neu formbares Nichts zu verwandeln. Die Herold und Co. sind keineswegs Sadisten, die sich an deinen Leiden aufgeilen. Sie haben eine tieferfüllte Mora! von abstrakter Sittlichkeit, an der alles mechanisch, vorherbestimmt, diszipliniert ist, die also nichts Menschliches, Vielfältiges an sich hat. Sie sind keine Perso­nen, sondern der leibhaftig gewordene Staat. Sie wollen alle Menschen "heilen", nämlich zu Staat machen. Sie sind sehr betroffen von deinem Leid, und umso mehr wollen sie dich durch Leiden zu ihresgleichen machen. Sie wollen deinen Körper in der Stille der Haft Schritt für Schritt erobern, aus dir einen 'neuen' Menschen, eben den Menschen des Modeil Deutschland, machen. Sie engagieren sich in diesem'Sinn sehr für dich, du bist Objekt ihrer 'gesellschaftsheilenden' Aufgaben. Du begreifst also: sie nehmen dir alles weg, aber gleichzeitig wenden sie sich dir extrem zu. Sie halten ganze Polizei- und Grünen-Kompanien bereit, du bist in deiner Isolation ein gefeierter Staatsgast. Die extreme Überwa­chung hat Sicherheitsgründe nur zum Vorwand. In Wirklichkeit geht es um ein langes und schmerzliches Zeremoniell: das kranke Fleisch an dir möge abfallen, damit du Fleisch vom abstrakten Fleisch des Staates werden kannst. Das mußt du dir immer vor Augen halten, denn von diesem Gegen-Wissen leiten sich deine Überlebensmöglichkeiten ab. Die anfängliche Schockperiode überstehst du mit diesem Wissen leicht. Aber wenn die Zeit der Anpassung beginnt, solltest du genau aufpassen. In dieser Phase wird deine Phantasie aktiv wie nie zuvor in deinem Leben, während dein Körper zum erstenmal ermattet. In beide Prozesse solltest du eingreifen. Aber nicht in der falschen Hoffnung, Körper und Phantasie wieder zusammenzubringen, das ist in der Haft unmöglich. Du solltest anfangen, gegen den ermattenden Körper anzuarbeiten: Gymna­stik, autogenes Training, Atemübungen in den Knastalltag einbauen und nie eine vorgenommene Übung auslassen. Im medizinischen Teil stehen darüber eine Menge Einzelheiten. Gleichzeitig solltest du deine Phanta­sien zum Gegenstand genauer Überlegungen machen. Die Tagträume nehmen von Woche zu Woche mehr Raum in deinem Zellendasein ein. Nimm sie ernst, analysiere sie, und versuche, sie unter Kontrolle zu halten, sonst trennen sie sich zu weit von deiner Persönlichkeit ab, Stelle der Phantasie erfüllbare Aufgaben: die dichtesten Erinnerungsbilder solltest du aufzeichnen oder malen, lerne also Zeichnen oder Texte­schreiben, beschäftige dich mit Musik, kämpfe um eine Gitarre oder Blockflöte oder Geige, und lerne spielen, wenn du es noch nicht kannst; lege dir in einer Ecke der Zelle eine geographische Kartensammlung an, zumindest eine oder zwei Karten müssen sie dir lassen, und begebe dich auf Phantasiereisen. Gehe auch von anderen Fertigkeiten aus, und zwar solchen, die du gern weiterentwickelt.hättest, als du in Freiheit warst, zu denen du aber nicht gekommen warst; beginne einen zähen Kleinkrieg, um an das heranzukommen, was du brauchst; lerne über deine Interes­sengebiete zu lesen, nachzudenken und zu schreiben, auch und gerade wenn es Handfertigkeiten waren. Die Knastbibliotheken helfen dir gerade auf diesen Gebieten (Schweißen, Kfz-Mechariik, Technikerma­thematik, Drucken usw.) überraschend weiter. Irgendwann muß die Isolationshaft gelockert werden, und du kannst dann deine Interessen postalisch und über Besuche gezielt ausweiten. Das gilt auch für alles, was mit deiner Sozialrevolutionären Identität zu tun hat. Natürlich sind hier die Beschränkungen am größten. Aber auch sie sind auf die Dauer für die Justiz nicht durchzuhalten, und zusammen mit den übrigen von dir eroberten Gebieten deiner Phantasien kannst du es durchaus vermei­den, auch im Interesse der Prozeß Vorbereitung, in abstrakte Begriffe und Schemata abzugleiten. Das alles ist sehr wichtig, aber auch sehr viel. Du solltest jedenfalls nichts unversucht lassen. Du gewinnst eine unheimliche Stärke daraus, wenn du dir die abstrakt gewordene Zeit wieder aneignest und dir nach deinen Entscheidungen zuteilst. Hikmet, ein türkischer Dichter, der 14 Jahre inhaftiert war, schrieb einmal, ein Isolationsgefangener werde dann nicht zerbrochen, wenn er die Fähigkeit entwickle, die Blätter der Bäume in zehn Kilometer Abstand raschein zu hören. Denke daran in den tiefsten Phasen der Verzweiflung.

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